Spieglein, Spieglein an der Wand…
Ich habe mich dazu entschlossen, etwas sehr Persönliches als Tagesimpuls zu wählen. Stellen Sie das Lesen ein, wenn Sie eine andere Meinung nicht ertragen mögen oder verinnerlichen die letzten Sätze des Textes. Normalerweise bin ich um geschlechtergerechte Sprache bemüht, dass hätte den Text aber unnötig schwer zu lesen gemacht. Darum mögen die Männer sich bei den weiblichen Formulierungen mitgemeint fühlen – sonst ist es ja stets anders herum.
„Jesus rief laut: »Wer mich annimmt, nimmt nicht mich an, sondern den, der mich gesandt hat. Wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat.“
So beginnt das heutige Tagesevangelium (Johannes 12,44-50). Jesus schöpft seine Rede dabei nicht aus dem luftleeren Raum, denn in den jüdischen Schriften heißt es: „Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich! Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie. Gott segnete sie“ (Genesis 1, 25-28a).
Dass man beim Anblick eines Menschen, Gott sieht, ist entscheidend für Glaube und Theologie. Orden, die helfen, denen das Versorgen von Menschen das Wichtigste ist, ja denen das Versorgen von Menschen Beten ist, schöpfen hier ihre Inspiration heraus. Auch im Matthäusevangelium (Matthäus 25, 35-40) nimmt Jesus auf den Schöpfungsbericht Bezug. Im Ausüben der sieben Werke der Barmherzigkeit, kann man Gott im anderen Menschen ganz nahe kommen. Vielen Christinnen ist das wichtig.
Aber noch etwas anderes, bemerkenswertes steckt darin, wenn wir nach Gottes Abbild geschaffen sind. Was ist eigentlich, wenn in mir die Wut hochsteigt, weil die andere keinen Abstand hält. Oder wenn die Angst steigt, weil man das Wort „Öffnungsorgie“ so versteht, dass es Menschen gibt, die einen unbedingt krank machen und sterben sehen wollen. Oder wenn man von 8-13h mit einem Grundschulkind am ergonomisch suboptimalen Esstisch sitzt und unbezahlt und ungelernt, Unterricht erteilt. Nein, glauben Sie Politikern und Lehrern nicht, dass Kinder selbstständig arbeiten. Das mag für ältere gelten, nicht aber für Kinder der ersten 6 Schuljahre. Und danach gehen diese Eltern selbstverständlich noch 8 Stunden arbeiten und haben ein schlechtes Gewissen, denn nach 13 Stunden Erwerbsarbeit – davon 5 ohne Entgelt – bleibt keine Zeit, mit den Kindern zu reden, zu kuscheln, zu spielen und das schlechte Gewissen schlägt Alarm. Und was tun, wenn in der Zeitung, im Radio und im Fernsehen, alle darüber jammern, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen? Welche Zeit?, fragen sich Eltern. Denn eigentlich müssten sie endlich mal, mit ihren Kindern Sport treiben, spielen, lachen, den Haushalt putzen und…
Was also tun, mit der Wut auf Menschen, die einem scheinbar böses Wollen, ja, die einen vermeintlich vernichten wollen. Wo ist da Gott? Steckt er nicht in ihnen? Doch, natürlich! Es sind Menschen. Und für alle Menschen gilt: „als sein Bild erschuf er sie“. Wenn ich diese Menschen anmeckere, niedermache, „die Pest an den Hals wünsche“, tue ich das auch Gott an. Und das ist der Clue, dessen, was Jesus predigt. Wenn ich als gläubige Christin, einer anderen begegne, begegne ich Gott, selbst wenn sie ganz anders denkt und handelt. Das zügelt mich in meiner Handlung und ich sehe sie staunend an und denke: „Wo kann ich Gott in dir sehen? Wo versteckt er sich? Warum wird er für mich nicht sichtbar? Du bist Gottes geliebtes Kind. Ich kann dir nichts tun, nicht einmal in Gedanken, denn Schlechtes will ich Gott nicht tun.“
Wenn mein Kind, die Abwesenheit von Menschen nicht mehr erträgt und mein Rücken nach 2 Monaten Conora nur noch vor Schmerzen schreit, weil ihn Politik jeden Tag viel zu lang sitzend auf einen Esszimmerstuhl zwingt, erinnere ich mich daran, dass eine gute Freundin einmal sagte: „Immer, wenn eine meiner Feindinnen mir dumm kommt, denke ich mir, komisch, in dir ist Gott auch?“, und muss herzhaft lachen. In diesen Monaten hilft es mir, an die Schöpfungstheologie zu denken, um nicht in Frust uns Zorn zu ertrinken.
